Eppendorfer Dialog
Narrativ vor dem Wandel: Ungeschönte Realität statt Heilsversprechen für die Krankenversicherten
Abkehr von der Vollkasko-Mentalität und mehr Eigenbeteiligung an den Gesundheitskosten: Die Diskussion beim Eppendorfer Dialog in Berlin vermaß die gesundheitspolitische Komfortzone neu. Der Ton wird rauer.
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Wie viel (privates) Zuzahlen bei Gesundheit soll es denn sein? Politik und Stakeholder diskutieren ein seit Jahren heißes Thema – kontrovers.
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Berlin. Die Finanzierung des Gesundheitswesens aus Kranken-und Pflegekassenbeiträgen stößt an Grenzen. Im Koalitionsausschuss von Union und SPD im Kanzleramt standen die Kassenfinanzen Ende November auf der Tagesordnung: Ohne Ergebnis.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat daraufhin von sich aus eine Einigung von Bund und Ländern auf das von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) geschnürte „Kleine Sparpaket“ von zwei Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Am kommenden Mittwoch tagt nun der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. Am Freitag hat der Bundesrat das Sparpaket erneut auf der Tagesordnung.
Sorge: Mit neuer Offenheit diskutieren
Mit diesem Miniatur-Sparpaket alleine wird die Debatte um die mittel- und langfristige Finanzierung des Gesundheitswesens allerdings nicht zu beruhigen sein. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium Tino Sorge (CDU) hatte bereits beim Eppendorfer Dialog in diesem Monat angekündigt, dass mit einer „neuen Offenheit über die Finanzierung unseres Gesundheitswesens“ diskutiert werden müsse.
Althergebrachte Konzepte stießen an ihre Grenzen. „Wir werden über disruptive Maßnahmen sprechen müssen“, sagte Sorge mit Blick auf die Alterung der Gesellschaft und die abnehmende Zahl der Beitragszahlenden. Neue Technologien, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sollten dazu beitragen, die Zahl der Arztbesuche zu senken.
Bei der erstmals in Berlin ausgerichteten Veranstaltung forderten Fachleute in der vom Vorstandsvorsitzenden des Klinikums Nürnberg Professor Achim Jockwig geleiteten Diskussion zudem eine radikale Abkehr von der „Vollkasko-Mentalität“ im Gesundheitswesen.
Professor Boris Augurzky vom RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung wies darauf hin, dass Deutschland bereits 12,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Gesundheit ausgebe. Die benachbarten Niederlande lägen bei zehn Prozent. Die Differenz entspreche etwa 100 Milliarden Euro. Gleichwohl ist die Lebenserwartung der Menschen jenseits der Grenze ausweislich von OECD-Daten etwas höher.
Die Menschen zahlten fortlaufend mehr in ihre Krankenkassen ein, erhielten aber zunehmend schlechtere Leistungen, zum Beispiel, weil Wartezeiten zunähmen, sagte Augurzky. Seine Prognose: Ohne Anpassungen würden die Sozialabgaben in den kommenden zehn Jahren auf mehr als 50 Prozent steigen. Augurzky plädierte für einen Selbstbehalt der Versicherten von einem Prozent der Leistungsausgaben, höchstens aber 700 Euro.
Dr. Francesco de Meo, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Helios-Gruppe wies auf die Bedeutung eines funktionierenden Gesundheitswesens für die Stabilität der Demokratie hin. Aktuell werde es zum Einfallstor für Populismus. Wenn die Politik in Deutschland an dieser Stelle wieder Vertrauen gewinnen wolle, bedürfe es einer kulturellen Zäsur, sprich: weniger Heilsversprechen und mehr ungeschönte Realität.
Einen Lösungsansatz der aktuellen Krise sieht er in einer konsequenten Ausrichtung der Versorgung am Bedarf, nicht an Bedürfnissen. „Es braucht nicht mehr Geld, sondern Freiraum für Regionalbudgets ohne Silodenken und Sektorengrenzen“, sagte de Meo.
Verpflichtende Selbstbehalte bedeuteten wie Beitragserhöhungen eine finanzielle Belastung der Beitragszahler, antwortete der Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands Oliver Blatt in der Diskussion. Es sei daher besser, zunächst mit der Debatte über die Patientensteuerung zu beginnen.
In diesem Zusammenhang könne eine Diskussion über Selbstbehalte allerdings nützlich sein. Die Steuerungswirkung dieser Instrumente stehe in Frage, sagte Blatt. Die Praxisgebühr habe seinerzeit keine Wirkung entfaltet.
Maag: Kein Selbstbehalt ohne Plan
„Um einen Selbstbehalt einzuführen, brauchen wir einen Plan“, sagte Karin Maag, Unparteiisches Mitglied des G-BA. Seit 2010 lebe die Gesundheitspolitik über ihre Verhältnisse, Ausgaben und Einnahmen der GKV seien nicht im Einklang. Hier Abhilfe zu schaffen, obliege der Selbstverwaltung.
Dafür brauche die Selbstverwaltung allerdings mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Sie sei praxisnah: „Wir müssen hin zum Thema Wirtschaftlichkeit der Entscheidungen“, so wie es das fünfte Sozialgesetzbuch vorgebe, sagte Maag. Entökonomisierung, wie sie zum Beispiel der ehemalige Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach propagierte, sei dagegen „völliger Blödsinn“.
Bilanz nach drei Quartalen
Trotz Überschuss bei den Kassen: Warken sieht Beitragssätze unter hohem Druck
Wenn die Bürgerinnen und Bürger dann erkennten, dass Politik und Selbstverwaltung in allen Bereichen dabei seien, das System neu auszurichten und zu sparen, dann, so glaube sie, akzeptierten sie, dass es für Krankenhausaufenthalte eine höhere Zuzahlung geben müsse.
Michael Hennrich, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und heute in der Geschäftsführung von Pharma Deutschland, deutete an, dass ein Selbstbehalt auch über ein Prozent hinausgehen sollte. „Ein Prozent, und danach ist Party“, dürfe nicht gelten. Dann drohe, dass Versicherte ein Prozent bezahlten, um danach zu versuchen, so viel wie möglich aus dem System herauszuholen. Das sei der falsche Weg, so Hennrich. (af)













