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Interview

Professor Donner-Banzhoff: „Oft kennen Hausärzte bei KHK relevante Leitlinie nicht“

Professor Norbert Donner-Banzhoff von der Universität Marburg berichtet über die Ergebnisse der KARDIO-Studie, was diese für die Zusammenarbeit von Hausärzten und Kardiologen bedeutet und was sich in der Weiterbildung ändern sollte.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Professor Norbert Donner-Banzhoff, Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin im Medizinischen Zentrum für Methodenwissenschaften und Gesundheitsforschung an der Philipps-Universität Marburg

Professor Norbert Donner-Banzhoff, Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin im Medizinischen Zentrum für Methodenwissenschaften und Gesundheitsforschung an der Philipps-Universität Marburg

© Laackmann, Marburg

Mit welchen Themen hat sich die KARDIO-Studie befasst?

Anlass des Projekts waren die im internationalen Vergleich hohen Raten von Koronar-Angiografien und -Interventionen in Deutschland. Die Studie bestand aus drei Teilprojekten. Das Teilprojekt A befasste sich mit „Regionaler Variation und Bedarf“ in Bezug auf Herzkatheter-Leistungen bei (V.a.) stabiler KHK; dabei konnten wir auf Routinedaten von drei großen Krankenkassen zurückgreifen.

In Teilprojekt B ging es um „Ursachen und Motive für den Einsatz invasiver und nicht-invasiver diagnostischer Untersuchungen bei koronarer Herzkrankheit“; dazu wurden Patienten, Hausärzte und Kardiologen befragt. In Teilprojekt C mit dem Titel „Entwicklung und Implementierung von Sektor übergreifenden Behandlungspfaden“ ging es darum, in vier ausgewählten Hochversorger-Regionen eine Verbesserung der Versorgungsqualität zu erproben.

Welche Erkenntnisse wurden aus diesen Teilstudien gewonnen?

In Teilprojekt A ließ sich tatsächlich für das Setting „stabile KHK“ eine stärkere regionale Variation nachweisen als bei der akuten Situation. Bei letzterer ist die Indikation weniger strittig, und korreliert folgerichtig mit den KHK-typischen soziodemographischen Faktoren. Bei der stabilen Indikation fehlt diese Assoziation, hier sind die Herzkatheter-Leistungen abhängig von den Kapazitäten an Katheterlaboren. Diese Ergebnisse sind natürlich immer sehr vorsichtig zu interpretieren. Aber sie bieten doch einen Hinweis auf Überkapazitäten und Überversorgung.

Wie empfinden Ärzte und Patienten an der Basis diese Situation?

Patienten wie auch Ärzte empfinden Herzerkrankungen als etwas Besonderes; damit sind besondere Gefühle und Ängste verknüpft. Patienten sprechen in Interviews von einer „Herzensangelegenheit“. Ärzte haben hier eine besondere Sorge, etwas zu übersehen. Interessant ist, dass gerade bei Hausärzten die relevante Leitlinie, die interdisziplinär konsentierte Nationale Versorgungsleitlinie (NVL / www.leitlinien.de/themen/khk) zur stabilen KHK, kaum bekannt ist.

Die Meinung auf lokaler Ebene ist geprägt von den ortsansässigen Kardiologen, vor allem Krankenhaus-Chefärzten. Diese berufen sich auf die europäischen Leitlinien (ESC), obwohl diese tatsächlich ein viel zurückhaltenderes Vorgehen empfiehlt als die Praxis in Deutschland. Die Möglichkeiten zur nicht-invasiven Abklärung einer stenosierenden KHK wird kaum genutzt.

Das von der NVL angemahnte Gespräch über Therapieziele findet nicht statt, stattdessen werden Patienten niedrigschwellig zum Herzkatheter gelotst. Viele Patienten sind entsprechend frustriert, denn sie würden sich gerne in die Entscheidung einbringen. Diese wird jedoch gleichsam als ein Sachzwang dargestellt. Dass die perkutane Intervention an der Prognose bei stabiler KHK nichts ändert, sondern nur symptomatisch hilft, wird dabei selten deutlich.

Könnten Hausärzte hier eine größere Rolle spielen?

Hausärzte befinden sich hier vielfach in einem Dilemma. Sie kennen ihre Patienten und können die Problematik ohne eigenen Interessenskonflikt angehen. Und die NVL bietet ihnen die nötigen Instrumente für eine effektive Gatekeeper-Rolle. Schwierig wird es jedoch, wenn die Empfehlungen der örtlichen Kardiologen in eine andere Richtung gehen.

Hausärzte steuern ihre Überweisungen so, dass sie unter Umständen gezielt zu einem nicht-intervenierenden Kardiologen überweisen, um eine von Interessenskonflikten freie Einschätzung zu erhalten. Eine Hilfe sind außerdem die auf diese Situation zugeschnittenen Entscheidungshilfen, die vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin zur Implementierung der NVL entwickelt worden sind.

Lässt sich die Situation mit lokalen Initiativen verbessern?

Eigentlich sollen regional verhandelte Behandlungspfade genau dieses Problem angehen: vor Ort ziehen alle am gleichen Strang. Unser Teilprojekt C hat jedoch gezeigt, dass dieser Versuch wenig aussichtsreich ist. Wenn die Behandlungskapazitäten über den Bedarf hinausgehen, verlangt man von den Beteiligten ein Verhalten, welches ihnen wirtschaftlich schadet. Daran muss jede freiwillige Vereinbarung vor Ort scheitern.

Es müssen also Lösungen auf der System-Ebene diskutiert werden?

Ich glaube, darum kommen wir nicht herum. In Deutschland hat sich die Zahl der Kardiologen zwischen 1999 und 2018 verdoppelt, auch die Zahl der niedergelassenen Kardiologen. Da in Deutschland der direkte Facharzt-Zugang möglich ist, nehmen Letztere eigentlich an der Primärversorgung teil. Darauf werden sie jedoch während ihrer Weiterbildung, die sich fast ausschließlich am Krankenhaus abspielt, überhaupt nicht vorbereitet.

Was im Hochrisiko-Bereich funktionieren mag, wird in der Primärversorgung leicht zu einem Rezept für Überversorgung und -therapie. Die Allgemeinmedizin hat in den letzten Jahrzehnten diese Situation reflektiert und entsprechende Vorgehensweisen entwickelt, wie zum Beispiel den Marburger Herz-Score.

Wir haben in Deutschland keine Diskussion über die Zahl der Fachärzte, die wir brauchen, und wie wir die Weiterbildung entsprechend steuern können. Gerade in der Situation des Mangels ist dies von großer Bedeutung. Der Hochschuldidaktiker Henrik van den Bussche hat darauf hingewiesen, dass die Zahl und Art der Weiterbildungsstellen in Krankenhäusern bei uns die Zusammensetzung der niedergelassenen Ärzteschaft determiniert. Dies führt klar am Bedarf im ambulanten Bereich vorbei.

Dies zielt ja auf grundsätzlichen Regelungsbedarf; wo lässt sich realistisch eine Verbesserung erreichen?

Im Gegensatz zu den meisten anderen Gesundheitssystemen haben wir in der ärztlichen Weiterbildung einen Wildwuchs, gleichzeitig aber schlechte didaktische Unterstützung. Lösungen erfordern einen langen Atem, um Missverhältnisse, wie beispielsweise 30 Prozent Hausärzte und 70 Prozent Fachärzte in der ambulanten Versorgung, auszugleichen.

Mit der Bezuschussung der Weiterbildung durch die Krankenkassen nach SGB V §75a sind viele regionale Weiterbildungsverbünde entstanden. Wir sollten diskutieren, ob sich daraus ein Modell auch für andere Fächer entwickeln lässt. Die anstehende Reform der Krankenhaus-Finanzierung kann hier neue Spielräume eröffnen.

Aber zum Thema zurück: Ich möchte noch einmal an die NVL erinnern. Diese beruht darauf, dass die verschiedenen Fachgruppen auf der Basis der einschlägigen Evidenz einen Konsens finden. Damit können blinde Flecke und Interessenskonflikte zumindest relativiert werden. Interessant wird auch sein, ob demnächst das Koronar-CT eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung wird und wie sich dies auf die Versorgung auswirkt.

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