Ausstellung
Forensiker leisten mehr als im TV gezeigt wird
Während Fernseh-Rechtsmediziner vor allem spektakuläre Morde aufklären, sind die Experten im wahren Leben weit vielseitiger unterwegs – wie eine Ausstellung in Hilden belegt.
Veröffentlicht:HILDEN. Die junge Familie hatte gerade ihr neu gebautes Eigenheim im Berliner Grunewald bezogen. Nun wollte sie im Garten eine Schaukel für die Kinder aufstellen. Die Stelle, wo bislang noch ein altes Brombeergebüsch wucherte, schien perfekt. Beim Räumen des Dickichts stieß die Familie auf einen gruseligen Fund: ein Stiefel mit einem vollständig erhaltenen Fuß- und Beinknochen. Die herbeigerufene Polizei und der Rechtsmediziner gruben weiter und stießen auf Schulterklappen von einem Soldaten.
Eine genauere Untersuchung des Fußes sowie des Schuhs auf Alter und Herstellungsart brachten die endgültige Klarheit: Im Garten lagen die Überreste eines Rotarmisten aus dem Zweiten Weltkrieg. „Die große ungetrübte Freude über das neue Eigenheim war bei der Familie dann erstmal vorbei“, berichtet Dr. Lars Oesterhelweg trocken, Leitender Oberarzt und stellvertretende Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Charité Berlin.
Schon die zweite Schau
Die Erzählung aus seinem Arbeitsalltag zeigt: Die Aufgaben eines Rechtsmediziners sind vielseitig und unterscheiden sich stark von dem Bild, das die einschlägigen Krimiserien wie „Tatort“, „Navy CIS“ oder „Bones – Die Knochenjägerin“ dem Zuschauer vermitteln.
Das zeigt eine neue Ausstellung mit dem Titel „Hieb § Stich – Dem Verbrechen auf der Spur“, die derzeit im Wilhelm-Fabry-Museum in Hilden zu sehen ist. Oesterhelweg sprach anlässlich der Ausstellungseröffnung. Der Rechtsmediziner wird in Berlin regelmäßig an Fundorte von Gebeinen gerufen, die aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges stammen.
Während Fernseh-Rechtsmediziner vor allem spektakuläre Morde aufklären, sind die Experten im wahren Leben auch in der Drogendiagnostik, als Sachverständige vor Gericht oder im Umgang mit Opfern von Gewalttaten tätig. Die Ausstellung „Hieb § Stich“ zeigt auch diese Seite des Berufs. Sie ist eine Fortsetzung der Schau „Vom Tatort ins Labor – Rechtsmediziner decken auf“, die im Jahr 2012 dort zu sehen war.
Unterhaltsam, ohne Schockmomente
Ohne auf Schock- und Gruselmomente zu setzen, beschreibt sie unterhaltsam die tägliche Arbeit der Rechtsmediziner nach einem ungeklärten Todesfall. Der Besucher tritt zunächst an einen Tatort, der zwar nachgebaut ist, aber einem realen Fall entspricht: Ein Mann hat seine Frau im Streit erstochen, jetzt müssen Spuren gesichert werden.
Der nächste Raum führt den Besucher in das Kommissariat, wo die Ermittler die sichergestellten Spuren auswerten. Eindrucksvoll sind hier die aus der Schweiz stammenden „Bäbistuben“, detailgetreue Miniaturmodelle von echten Tatorten. Von der Bauart her erinnern sie an schaurige Puppenstuben. Sie stammen aus den 1970er-Jahren und erfüllten zum einen die Funktion, Geschworenen vor Gericht eine Vorstellung vom Tatort zu geben, dienen aber gleichzeitig der Ausbildung angehender Rechtsmediziner.
Weitere Exponate gehören zu den Überresten einer Wasserleiche. An deren Kleidung wurden Flusskrebse und Algen gefunden, am Schädel und Schuhen sind Löcher zu sehen, die durch das Treiben und Schleifen am Gewässergrund entstanden sind.
Nach dem Kommissariat ist der Sektionssaal ein wichtiger Ort zur Klärung eines Todesfalls. Hier erfährt der Besucher viel über Techniken und Verfahren der historischen und modernen Rechtsmedizin, etwa der Daktyloskopie, der Identifizierung von Personen mittels Finger- oder Ohrabdrücken.
Neue Verfahren helfen
Ein relativ junges Verfahren ist der Einsatz postmortaler Computertechnologie (PMCT). Es hilft den heutigen Rechtsmedizinern bei der Untersuchung unklarer Todesursachen. „Früher war die Leichenöffnung die einzige Möglichkeit, einen Befund zu erheben“, erläuterte Oesterhelweg. „Allerdings lässt dieses Verfahren eine erneute Überprüfung oder Beurteilung durch einen weiteren Gutachter nicht zu, weil es ein destruktives Verfahren ist.“
Das ist bei der PMCT nicht der Fall. Mit der Methode können Rechtsmediziner dreidimensionale Rekonstruktionen eines Körpers anfertigen und hochauflösende Schnittbilder von ihm erstellen, ohne ihn zu zerstören.
Auch bei der Bestimmung von Tatwerkzeugen hilft dieses Verfahren, etwa der genauen Form eines Hammers, mit dem einem Opfer der Schädel eingeschlagen wurde, oder der Menge an Schrot aus einer Flinte. „Schrot streut im Körper extrem und sein ursprüngliches Gewicht und die Menge ist durch eine herkömmliche Untersuchung kaum nachzuweisen. Mit der PMCT geht das.“
Die Ausstellung „Hieb § Stich“ ist bis 14. Juli 2019 im Wilhelm-Fabry-Museum in Hilden zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch und Freitag 15 Uhr bis 17 Uhr; Donnerstag 15 Uhr bis 20 Uhr, Samstag 14 Uhr bis 17 Uhr, Sonn- und Feiertage 11 Uhr bis 13 Uhr sowie 14 Uhr bis 18 Uhr (Karfreitag, 19. April, geschlossen). Eintritt 3 Euro, ermäßigt 1,50 Euro.
Veranstaltungsreihe zur Ausstellung:
4. April 2019, 19.30 Uhr: Das ist Sparta. Eine Welt der Starken und Gesunden? Vortrag von Professor Karl-Heinz Leven, Institut für Geschichte der Medizin der Universität Erlangen.
11. April 2019, 19.30 Uhr: Casanova im Duell
17. April 2019: Hildener Literaturkonzert mit Peter Welk.
4. Juli 2019, 19.30 Uhr: Ein Licht aus der Tiefe des Schattens oder Das Verbrechen des begründenden Augenblicks. Die Beziehung des Tabubrechers Caravaggio zu Gewalt und Verbrechen – und in welcher Weise es in seiner Kunst Verarbeitung fand. Literarische Nachforschungen um den Mythos Caravaggio, gelesen und erzählt von Barbara Engelmann.